Trends 2016: The AI-Revolution
2015 war von einer beispiellosen Dynamik auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (Artificial Intelligence/AI) gekennzeichnet. Von Google über Facebook bis zu IBM, Microsoft und Amazon haben nicht nur sämtliche Tech-Giganten AI als die strategische Priorität ausgerufen, die maßgeblich für die Zukunft ihres Unternehmens sein wird, sie haben sich auch in ihren Ankündigungen von erreichten Meilensteinen überschlagen. Das Besondere: Sie haben ihre Errungenschaften nicht nur in ihre eigenen Produkte einfließen lassen, sondern stellen sie offen allen Unternehmen zur Nutzung und Integration in ihre eigenen Produkte zur Verfügung.
Aus diesem Grund wird sich die Entwicklung 2016 weiter beschleunigen und AI zu einem zentralen Faktor in der Strategie eines jeden Unternehmens werden lassen.
Intro
Nach lange im Verborgenen schlummernder Forschung im Bereich künstlicher Intelligenz/Artificial Intelligence (AI), hat sich diese Wissenschaft 1997 mit einem großen Knall medienwirksam zurückgemeldet: Der von IBM entwickelte Supercomputer Deep Blue schlug den amtierenden Schachgroßmeister Gary Kasparov.
Quelle: The Atlantic
Diesem Sieg im Wettstreit zwischen Mensch und Maschine waren mehrere AI-Eiszeiten vorausgegangen, die Phasen der Euphorie und nicht erfüllter Erwartungen gefolgt waren.
Erste Erfolge in der computergestützten Sprachübersetzung in den 1950er-Jahren ließen die Erwartung aufkommen, dass Computer binnen weniger Jahre den Menschen mit all seinen Fähigkeiten komplett ersetzen können würden. Das Verständnis der Sprache stellte sich jedoch als wesentlich komplexer heraus, als zunächst angenommen, so dass sich in den 1970er-Jahren Ernüchterung breit machte und Investitionen zurückgefahren wurden (siehe auch Trend: Messaging as Platform).
Nach einem erneuten Boom rund um sogenannte Expertensysteme in den frühen 1980er-Jahren folgte erneut Ernüchterung, da die entwickelten Systeme die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnten und die Kosten prohibitiv waren.
Vor dem Hintergrund dieser Historie hatte die AI-Forschung zuletzt einen schweren Stand und traf auf viel Skepsis. Seit dem medienwirksamen Ereignis von Deep Blues Sieg über Kasparov hat sich die Stimmung jedoch merklich verändert. Die Entwicklung hat sich beschleunigt und erfasst immer weitere Bereiche mit erstaunlichen Erfolgen.
Exponentielle Beschleunigung des Fortschritts
Um die Entwicklung von Autos voranzutreiben, die ohne jegliche menschliche Interaktion fahren können, lobte das US-Militär einen Preis von USD 1 Millionen für das Team aus, dessen Fahrzeug eine vorgeschriebene Strecke autonom zurücklegen kann. Der erste Wettbewerb fand 2004 statt und war ein Desaster: Nicht ein einziges Fahrzeug erreichte das Ziel, die Strecke von 240 Kilometern zurückzulegen. Das erfolgreichste Fahrzeug legte gerade einmal 11 Kilometer zurück, bevor es an einem Fels hängen blieb.
Nur ein Jahr später absolvierten bereits fünf Fahrzeuge die volle Distanz, die auch das Durchfahren eines engen Tunnels und kurvenreiche Bergstraßen enthielt.
Heute, nur 10 Jahre nach diesem ersten Meilenstein, haben selbstfahrende Autos von Google bereits über 3,2 Millionen Kilometer zurückgelegt.
2011 gewann Supercomputer Watson, der Nachfolger von IBMs Deep Blue, gegen ein Team von menschlichen Kontrahenten in Jeopardy, und erreichte damit einen weiteren Meilenstein. Über den mathematisch erschließbaren Optionenraum war hierfür auch die Mehrdeutigkeit von Sprache zu entschlüsseln, die Computer bis anhin immer vor große Probleme gestellt hatten.
Im gleichen Jahr stellte Apple seinen persönlichen Assistenten Siri als festen Bestandteil seines mobilen Betriebssystems vor. Gesteuert durch die Eingabe in natürlich gesprochener Sprache nimmt Siri Befehle entgegen und beantwortet Fragen. Auch wenn ihre Fähigkeiten noch verbessert werden können, ist schon allein die Qualität des Verständnisses gesprochener Sprache auf einem Niveau, das vor nur wenigen Jahren kaum vorstellbar war.
Dabei ist ein derartiger Assistent weit davon entfernt nur eine technische Spielerei zu sein: Das Erfordernis von Bildschirmen zur Bedienung von Computern schränkt die Gestaltungsmöglichkeiten von Produkten stark ein und führt häufig zu einer Komplexität und Ineffizienz in der Interaktion (siehe auch Trend: Messaging as Platform).
Insbesondere Wearables wie Smartwatches oder Home-Automation-Systeme wie etwa Googles Nest machen deutlich, dass das Grafische Benutzer Interface (GUI) eine Hürde für zunehmend kleiner werdende Computer darstellt.

Amazon Echo
So sind dann auch alle Tech-Giganten Apple mit ihren eigenen auf natürlicher Sprache basierenden Assistenten gefolgt, die gleich eine Reihe von Komponenten künstlicher Intelligenz enthalten und unseren letztjährigen Trend „Pro-active Experiences“ erst ermöglichen: Google Now, Microsoft Cortana, Facebook M, Amazon Echo – ja sogar Barbie – interagieren mit dem Menschen in natürlicher Sprache und übernehmen die Erledigung eines sich ständig erweiternden Sets von Funktionen.
Computer überholen den Menschen
AI hat auch Einzug in das Kernprodukt von Google, die Suche, gehalten: Erst im Frühjahr 2015 in Googles Suche integriert, fungiert RankBrain heute bereits als drittwichtigster Ranking-Faktor bei der Darstellung der Suchergebnisse und kann ungewohnte Fragen mit einer höheren Treffsicherheit beantworten als ein menschlicher Experte.
Quelle: Singularity.com
Während sich Computer mit Bilderkennung immer schwertaten, erkennt Facebook Gesichter unterdessen mit ähnlicher Präzision, wie ein Mensch (98 Prozent Treffsicherheit) und kann auf hochgeladenen Bildern erkannte Freunde sogar dann identifizieren, wenn das Gesicht verdeckt gewesen ist (83 Prozent Treffsicherheit). Dabei ist ein Computer wesentlich schneller, als der Mensch:
ein Gesicht kann in 800 Millionen Bildern in weniger als fünf Sekunden gefunden werden.
Auch die Entschlüsselung gesprochener Sprache, traditionell ein Herausforderung für Computer, hat in ihrer Treffsicherheit den Menschen unterdessen eingeholt und auch in der Erkennung handschriftlicher Symbole ist der Computer unterdessen besser als der Mensch.
Das Schreiben von Zeitungsartikeln über Quartalsberichte von Unternehmen wird heute bereits ebenso vom Computer übernommen wie die Beantwortung von E-Mails, die ärztliche Diagnose oder die Identifikation von Depressionen durch Analyse des Gesichtsausdrucks (zu den Implikationen für die Privatsphäre siehe auch unseren Top-Trend des Vorjahres „Redefinition of Privacy“).
Während Forscher bereits seit über 60 Jahren versprechen, dass das Erreichen tatsächlicher künstlicher Intelligenz unmittelbar bevorsteht, macht die Geschwindigkeit dieser tiefgreifenden AI-basierten Transformation in nur fünf Jahren deutlich, dass es sich diesmal um weit mehr als nur einen Hype handelt.
Rahmenbedingungen der Revolution
Dies lässt sich auf drei Rahmenbedingungen zurückführen, die die gegenwärtigen Entwicklungen erst ermöglichen und eine klare Differenzierung gegenüber den vorangegangenen Phasen darstellen:
- Verfügbarkeit erschwinglicher Parallelverarbeitung: während traditionelle Prozessoren Wochen für die Kalkulation des Optionenraumes eines neuronalen Netzwerks benötigten, erledigen dies Cluster moderner Grafikprozessoren (GPU) innerhalb eines Tages. Diese für die Darstellung von komplexer Grafik in Computerspielen entwickelten Chips wurden durch den Boom im Gaming-Markt ab 2005 in großen Mengen produziert, was zu einem rapiden Preisverfall führte.
- Big Data: die Verfügbarkeit großer Datenmengen ist die Voraussetzung, um „Intelligenz“ zu entwickeln. Nur wenn die Computer durch diesen Input trainiert werden können, können sie ihre Fähigkeiten ausbauen. Während man in den 1960er Jahren noch Unmengen in den systematischen Aufbau von Datenbanken investierte, die dem Computer gesunden Menschenverstand beibringen sollte, existieren diese heute: So besiegte Watson seine menschlichen Kontrahenten 2011 in Jeopardy, indem er mit Wikipedia gefüttert wurde. Durch das Scannen von Büchern in verschiedensten Sprachen konnte Google die Qualität seiner automatisierten Übersetzung signifikant verbessern, indem es die menschliche Übersetzung über Millionen von Büchern als Grundlage nahm. Nur über die Verfügbarkeit von Millionen von Katzenbildern konnte der Computer trainiert werden, Katzen unterschiedlichster Musterung in unterschiedlichsten Stellungen verlässlich zu erkennen.
- Verbesserung Algorithmen/Deep-Learning
AI als Service: Für jeden nutzbar
Wem die Geschwindigkeit dieser Entwicklungen bereits jetzt mit Staunen erfüllt, sollte sich darauf gefasst machen, dass sie nur Vorboten einer weiteren Beschleunigung sind, die im kommenden Jahr zu erwarten ist.
Jedes Tech-Unternehmen von Rang und Namen hat seine AI-Systeme in den vergangenen zwei Monaten in einem beispiellosen Ankündigungs-Wettlauf der breiten Öffentlichkeit zur Nutzung zur Verfügung gestellt (siehe auch Trend: API-Economy): Ohne selber in die Forschung investiert haben zu müssen, kann heute jedes Unternehmen die volle Leistungsfähigkeit von IBMs Watson und SystemML, Googles TensorFlow, Microsofts DMLT, Facebooks Big Sur oder SoundHounds Houndify nutzen.
Die Begründung für diesen Wettlauf liegt auf der Hand:
je mehr ein AI-System genutzt wird, desto mehr Daten stehen ihm für sein Training und die Verbesserung zur Verfügung; je besser ein System ist, desto mehr wird es genutzt werden.
Ein marginaler Vorsprung kann sich auf Basis des exponentiellen Charakters dieser Entwicklung schnell als uneinholbar herausstellen.
Aus gleichem Grund hat Microsofts seinen AI-Assistent Cortana nun auf einem breiten Spektrum von Betriebssystemen verfügbar gemacht: Ein Assistent ist nur dann wirklich hilfreich, wenn er überall für einen verfügbar ist und somit die eigenen Präferenzen und Routinen in unterschiedlichsten Kontexten erlernen kann. Die Wahrscheinlichkeit den persönlichen Assistenten zu verwenden, der einen am besten kennt und zu dem man bereits eine emotionale Bindung aufgebaut hat, ist groß (siehe auch Trend: Messaging as a Platform).
Artificial Intelligence in der filmischen Darstellung („Her„)
Fazit
Der exponentielle Charakter der Verbesserung von AI allein im Zeitraum der letzten fünf Jahre verdeutlicht, dass im Gegensatz zu den vorangegangenen Phasen der AI-Euphorie nun die drei zentralen Pfeiler existieren, die für diese Fortschritte erforderlich sind und sie mit zunehmender Rate weiter beschleunigen werden: vernetzte leistungsfähige Systeme, Big Data und ausgefeilte Algorithmen.
Sämtliche Tech-Giganten haben AI als die zentrale Technologie mit transformativen Potenzial über alle Bereiche hinweg identifiziert. Allein bei Google arbeiten über 1.000 Forscher nur in diesem Feld und denken jegliche Tätigkeit des Unternehmens auf dieser Basis neu. Auch Facebook, Microsoft, IBM, Amazon, Tesla, Uber und viele weitere mehr haben AI als strategische Priorität ausgerufen und scheuen keinerlei Aufwand.
Da Menschen gewohnt sind, in linearen Zusammenhängen zu denken, sprengt die Konsequenz derart exponentieller Entwicklungen ihre Vorstellungskraft. Der AI-induzierte Wandel wird wesentlich schneller und tiefgreifender sein, als es sich die meisten vorstellen können: In nur 10 Jahren wird keine Industrie auch nur annähernd so aussehen wie heute und in den kommenden 20 Jahren wird AI einen Großteil der heutigen Jobs übernehmen.
Exemplarisch sei die Versicherungsbranche genannt, für die sich allein auf Basis bereits heute existierender technologischer Möglichkeiten folgender Ausblick skizzieren lässt: Während jedes Jahr 1,2 Millionen Menschen bei Autounfällen ums Leben kommen, haben Googles selbstfahrende Autos bereits über 3,2 Millionen Kilometer zurückgelegt, ohne einen einzigen Unfall verschuldet zu haben. Dies wird tiefgreifende Konsequenzen auf Anbieter von Versicherungen haben: Mangels Unfällen wird auch kein Bedarf mehr an der Absicherung dieses Risikos bestehen.
Sollten Googles und Ubers Anstrengungen von Erfolg gekrönt sein und menschliche Fahrer binnen 10-15 Jahren komplett ersetzen, werden nicht nur die Taxifahrer nach einem neuen Job suchen müssen: Vor dem Hintergrund, dass Autos derzeit 96 Prozent der Zeit ungenutzt herumstehen, könnte eine flächendeckende Mobilität im urbanen Raum mit wesentlich weniger Fahrzeugen gewährleistet werden. PricewaterhouseCoopers geht von einer Reduktion der Autoflotte um 99 Prozent aus. Was dies für eine Auto-Nation wie Deutschland bedeutet, ist unschwer abzuleiten.
Die Auswirkungen über alle Industrien hinweg werden wesentlich tiefgreifender sein, als die der ersten industriellen Revolution.
Unternehmen und Gesellschaft sind auf diesen sich exponentiell beschleunigenden Umbruch nur unzureichend vorbereitet.
Googles Quantencomputer: 100 Millionen Mal schneller als bisher schnellster Computer
AI-Experte Ray Kurzweil, unterdessen Director of Engineering bei Google, geht davon aus, dass Computer 2029 den Punkt erreicht haben werden, an dem ihre Intelligenz nicht von der des Menschen unterscheidbar sein wird (Singularität). Aufgrund der exponentiellen Entwicklung werden ihre Fähigkeiten bereits 2040 das milliardenfache ihrer biologischen Rivalen betragen.
Unabhängig von der Einschätzung, ob die entstehende künstliche Intelligenz tatsächlich breit angelegt (Artificial General Intelligence, AGI) und damit nicht mehr vom Menschen zu unterscheiden sein wird oder ob sie auf viele leistungsfähige Spezialisierungen hinausläuft (Artificial Intelligence, AI), steht für alle Experten fest, dass kein anderer Bereich so bedeutend für die Zukunft der Menschheit sein wird.
Während Kurzweil davon ausgeht, dass diese Entwicklungen zum Vorteil des Menschen sein werden, indem sein Gehirn direkt von der Leistungsfähigkeit von AI profitiert und mit dieser verbunden sein wird, hat AI für Tech- und Wissenschaftsgrößen wie Elon Musk, Bill Gates und Stephen Hawking das Potenzial für eine der größten Gefahren der Menschheit.
Für Musk ist AI jedoch ebenso essentiell zur Entwicklung der Fähigkeiten selbstfahrender Autos bei Tesla wie für Bill Gates bei Microsoft. Die Ankündigung eines Investitionsvolumens von USD 1 Milliarde in OpenAI durch Elon Musk, Peter Thiel, Infosys und Amazon unterstreicht dies erneut.
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